Mar 10, 2009

50 Jahre tibetischer Aufstand

Der Deutschlandfunk hatte eine Reportage im heutigen Kalenderblatt:
(leider dürfen die Beiträge des Kalenderblattes, jeden Tag um 9:05 Uhr, nicht mehr als stream online gestellt werden, darum hier der reine Text)


Aufstand der Tibeter

Vor 50 Jahren: 80.000 Tote bei Protesten gegen die chinesische Besatzung

Von Otto Langels

Schon im Herbst 1949, gleich nach der Machtübernahme der Kommunisten in Peking, erhob China Anspruch auf das Territorium Tibets. Ein Jahr später marschierte die Volksbefreiungsarmee Mao Zedongs in den Himalaya-Staat ein. Versuche der tibetischen Bevölkerung, sich mit der kommunistischen Regierung zu arrangieren, schlugen fehl. Die Proteste und bewaffneten Aktionen gegen die Besatzungsmacht eskalierten schließlich Anfang März 1959.

"Am frühen Morgen des 10. März 1959 versammelten sich nach Sonnenaufgang Tausende von Tibetern vor der Sommerresidenz des Dalai Lama. Die große Menschenmenge strömte wegen eines Gerüchts zusammen, wonach die chinesischen Kommunisten planten, den Dalai Lama zu einer Kulturveranstaltung in das chinesische Militärhauptquartier einzuladen und dort festzunehmen. Bis zum Mittag hatte sich der Aufruhr in einen allgemeinen Volksaufstand verwandelt."

So beschreibt der chinesisch-amerikanische Historiker Chen Jian in seiner Geschichte der tibetischen Rebellion den Ausbruch der Unruhen in der Hauptstadt Lhasa.
Die Vorgeschichte des Aufstands reicht in das Jahr 1949 zurück, unmittelbar nach der Gründung der Volksrepublik China, als die kommunistische Regierung Jahrhunderte alte Ansprüche auf die Himalaya-Region geltend machte. Peking ignorierte die 1913 proklamierte staatliche Unabhängigkeit Tibets und erklärte, das Land von den so genannten "imperialistischen Kräften" und dem "reaktionären Feudalregime in Lhasa" befreien zu wollen. 1950 marschierte die chinesische Armee in Tibet ein. Ein Jahr später schloss eine Delegation des Dalai Lama, des geistlichen und weltlichen Oberhaupts der Tibeter, mit der chinesischen Regierung ein 17-Punkte-Abkommen. Darin heißt es unter Anderem:

"Das tibetische Volk soll in die große Völkerfamilie des Mutterlandes der Volksrepublik China zurückkehren. Das tibetische Volk hat das Recht zur Ausübung regionaler Autonomie unter der Führung der zentralen Volksregierung."

In den Augen der Tibeter war das Abkommen jedoch nicht rechtmäßig, sondern durch massiven politischen und militärischen Druck aus Peking zustande gekommen.

"Tibet sah sich diesem großen Nachbarn aus dem Osten ausgesetzt, alleine, und da blieb nichts anderes, als das Beste aus der Situation zu machen. Und die einzige Möglichkeit war natürlich, den Feind zu beschwichtigen."



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Dafür gibt es ein Interview mit dem Gesandten des Dalai Lama in Deutschland, Keysan Gyaltsen.

Die Lage beschreibt er schon ziemlich drastisch, v.a. wenn man die dürftige Quellenlage zur Hand nimmt. "Das ganze Land ein großes Gefängnis"... Ist natürlich die Darstellung nur der einen Seite. Dennoch: man muss doch nicht das Land abschließen bzw. für ausländische Tibeter, die die Unabhängigkeit vertreten, unzugänglich machen. Ist ja schon so, als würde ihnen damit ein - ich möchte es mal "Menschenrecht" nennen, genommen, nämlich die Rückkehr in die Heimat. Stimmt schon, das passiert heute an leider viel zu vielen Orten. Auch kommt das Interview um einiges nüchterner und realistischer daher als so manche Partei-Propaganda.

Die Zeit hat schon etwas zynisches an sich. Lässt man sie durch Nichtstun verstreichen, löst sie manche Fragen wie von selbst. In einigen Jahren wird es die Debatte um den "Freiheitskampf der Tibeter", über das Wie und Wann, vielleicht gar nicht mehr geben. Tibet könnte dann so in die VR inkulturiert sein, dass die tibetische Kultur zu einem musealen Artefakt wird. Zwar wird dann hoffentlich Frieden herrschen, aber die Tibeter werden in ihrer Mehrzahl wohl Chinesen sein. Da können die einzelnen Personen vor Ort natürlich nichts für.

Ich mache mir bloß gerade Gedanken, über welch extraordinäre Macht das Modell des "Nationalstaates" eigentlich verfügt, wenn es Legitimation für Besetzung, Ausübung von Vorherrschaft, Bildung einer einheitlichen "nationalen" Kultur werden kann. Ohne dass es als historisches Produkt hinterfragt würde! Es gibt keine real existierenden Grenzen (von einigen natürlichen mal abgesehen), sie sind nur künstlich von uns gezogen. Ich habe beim Schreiben einer Hausarbeit über die Vormacht des "Staates" über "Religionen" (bei vorheriger "säkularer" Trennung der beiden "Bereiche") reflektiert, doch das gleiche ließe sich auch von "Kulturen" oder "Ethnien" sagen. Dieses Modell des modernen Nationalstaates hat uns, der Erdbevölkerung, viel Leid und Zwietracht gebracht. Vielleicht gehört es deswegen in die Schublade der (postmodernen) Geschichte.

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