Jan 20, 2008

Was ist Musik?

Was ist Musik?

Was ist Musik - außer einer Frage über die individuelle Bedeutung hinaus...?

Nun, da ich unserem eigenen Werk "the lost art of balancing nine-inch squared balls" lausche (überhaupt, die eigene Musik, das kreative Werk unserer eigenen Nervenverbindungen, ist sie eine Essenz unseres Lebens selbst, das Ein und Alles, das uns beschreibt, wie es tausend Worte nicht vermögen? Ist die selbst erschaffene Musik die größte, die wir uns überhaupt vorstellen können? Der Inbegriff und Sinn von Klängen in uns verabsolutiert?) ..., da ich dem Werk meiner eigenen, leider (von meinem Standpunkt aus) viel zu unbekannten und tragischerweise sich stets auf dem bisherigen Höhepunkt trennenden, Band lausche (andächtig fast, ja), erinnere ich mich an mein Leben in Tönen...
Musik ziert unseren Weg, wenn wir ihr diese Bedeutung geben. Und hinterher erkennen wir an den Klängen, wo wir eigentlich entlang gingen, was uns unterwegs widerfuhr, wo wir an eine Gabelung kamen und uns für eine Richtung und gegen eine entschieden...

Tief hinterlässt Musik ihre Spuren in uns.
Musik ist ein Teil dessen, worüber wir uns definieren. Über sie fühlen wir uns bestimmten Menschen und Gruppen zugehörig und lehnen andere ab. Wie in einer Miniatur können wir in Musik uns selbst betrachten. Da wir nicht selbst Musik sind, ermöglicht es uns diese Außenperspektive.
Unser Musikgeschmack dokumentiert die Wendungen und Kurven, die wir im Leben genommen haben. Wie wir uns untreu geworden sind, oder zumindest dem Teil von uns, der niemals, niemals so werden wollte. Wie uns doch immer etwas Besonderes mit der früher geliebten Musik verbindet, auch wenn die Liebe mittlerweile erkaltet ist - wie in zwischenmenschlichen Beziehungen.
Musik ist immer Teil der Religion und ihrer Wahrnehmung, ob als integraler Bestandteil oder in asketischer Ablehnung.

Heute.
Wir alle unterlaufen einen Prozess musikalischer Entdeckung und Sozialisation durch Eltern, Freunde, Medien. Das Lustige ist, dass wir in musikalischen Entdeckungsreisen schon lernen, was später im Studium als "Schneeballsystem" auf wissenschaftlichem Bereich mit heiligem Scheine umgeben wird.
Es lohnt sich, diesen Fundus der musikalischen Früh- und Bronzezeit aufzubewahren, auch wenn einem so manche Peinlichkeit nicht erspart bleibt. Dies ist also nicht einfach nur eine Liebeserklärung an sie selbst, sondern auch ein Aufruf zum bewussten Genuss und Erleben von Musik!
Nervenenden sind an Wahrnehmungen aller Art geknüpft, innen wie außen, und das Hören einer bestimmten Musik ist verbunden mit Erinnerungen, die man im Verlauf früherer Hördurchläufe machte. Besonders in jenen intensiven Phasen des Erlebens, in denen eine Platte ständiger Begleiter und wichtigster Bestandteil des alltäglichen Lebens war.

Welche Namen fallen mir, dem Hörer Jacob, da ein?

Ich kann nun natürlich nicht alle Alben anführen, die ich über die Jahre gern hatte, auch wenn ich so eine Discographie schon aus purer Eitelkeit überaus bedeutsam empfinde. Nur ganz wenige Ausnahmeerscheinungen dürfen den Selektionsprozess überstehen. Jene, die mir jetzt noch klar im Gedächtnis sind.
Chronologisch bin ich zuerst mit den Platten meiner Eltern Liebesbeziehungen eingegangen. Das war zum größten Teil Art-Rock aus den Siebzigern. Eine Phase, in der ich mich auf die klassischen Meister stürzte (und die mir einen guten Stand bei unserem Musiklehrer einbrachte), klammere ich verlegen aus, denn darin habe ich in 40 Jahren noch Zeit zu schwelgen.
Meine erste eigene Entdeckung (mit Unterstützung meines [damaligen] Studenten-Onkels) war Pearl Jam, "vs.". Ich bin Monate hinter ihm hergerannt, damit er mir endlich die verdammte Kassette überspielte! - Dabei erinnere ich mich an das schrecklichste und unpassendste Geschenk, das ich jemals bekommen habe. Das war in der Grundschule, und jeder zog ein Los mit dem Namen eines Mitschülers, dem man dann ein Weihnachtsgeschenk machen sollte. Eine hier nicht näher identifizierte Person (bzw. ihre Eltern) besaß die Geschmacklosigkeit, mir eine "I´ve been looking for freedom" betitelte Kassette - ihr erratet es - von Freizeitschauspielern, deren Mimik vom Spiel ihres sprechenden Autos in den Schatten gestellt wird, und anderen 80er-Jahre-Fönfrisuren (jawohl, das musikalisch erbärmlichste Jahrzehnt, das unsere Erde erdulden musste!).
Doch ich schweife ab.
"Elderly woman behind a counter in a small town" ist immer noch ein melancholisches Meisterwerk, das man wie einen guten Freund immer wieder zur Tröstung heranziehen wird.
Pearl Jam war kein eigenständiger Anfang, ich gebe es zu. Aber die wenigsten Menschen erwachen mit einem großen Knall. Und allen im Phänotyp mächtigen Erscheinungen wohnt eine sich kontinuierlich steigernde Entwicklung über einen gewissen Zeitraum inne.

Mein erster Knall war vielleicht "science fiction" von Blackmail, jedenfalls ist mir diese Platte noch deutlich in Erinnerung.
Das müsste 1999 gewesen sein, und ich kann mich noch genau an die dunkle Atmosphäre der Platte (auf die ich über ein Review im Musikexpress - was man nicht alles mal verbrochen hat - gestoßen bin) und den Sog erinnern, den sie entfaltete, ihre versteckten Melodien, die erst als "flash back" so richtig zogen. Blackmail wurden später ja richtig groß, besonders, und das verwundert, in Japan. Ich sah sie irgendwann mal auf einem kostenlosen Open Air in Reudnitz und da waren sie bekifft und besoffen und alt und wirkten so arrogant, als müssten sie sich das eigentlich gar nicht antun, da für umsonst zu spielen.
Zur gleichen Zeit las ich "Felidae", und genau weiß ich noch, wie "science fiction" die Atmosphäre und Dichte des Buches musikalisch in Bilder tauchte.

In Zeiten musikalischer Inflation durch (günstige) downloads und mp3 ist es Leuten wie mir, die von Sammelwut befallen keine lohnenswerte Veröffentlichung zu verpassen geneigt sind und dazu noch immer neue back-Kataloge erforschen müssen, kein Leichtes, ein Album oft genug zu hören, so dass es zu einem "Liebling" werden kann.

Aus einer Zeit, in der ich von k.o.-setzender Wahlmöglichkeit noch verschont war, stammt ein anderer Meilenstein meiner Laufbahn als Musikhörer. Dieser war "full collapse" von Thursday, und er trat 2001 eine musikalische Revolution los - zumindest in meinem kleinen Universum. Emotionen und ihr skrupelloses Ausleben überfielen meine Existenz als wäre das alles, worauf ich jemals gewartet hätte. Mit einem Mal war mir klar, dass das die logische Konsequenz meines Seins und Fühlens, meiner ganzen Persönlichkeit war und ich nach nicht mehr suchte als dieser konsequenten Ehrlichkeit in Musik, die man unbewusst und stets treffsicher fühlt. Man weiß einfach, dass sie da ist, wenn man sie einmal gespürt hat.
Ich wusste, dass ich in meinem tiefsten Herzen von Emotionen beherrscht wurde und nur darauf wartete, alle diese Gefühle herauszulassen. Ich bin ein ebenso extro- wie introvertierter Mensch, aber wichtig ist mir, so ehrlich und authentisch wie möglich zu sein und immer meinem Herzen zu folgen. Ich schrieb mir die Textzeilen von Hot Water Musics Lied "It´s hard to know", die da sind: "Live your heart and never follow" - nein, nicht auf den Arm, aber auf ein Stück Papier und hängte es mir übers Bett. Auf dass ich es nie wieder vergessen würde...
(ein großartiges Album übigens, "No Division" erwähnter Hot Water Music!)

Doch wehre ich mich gegen eine Vereinnahmung von Emotionalität oder (sogenannten) "Emos" als destruktiv, melancholisch, manisch, suizidal! Es wäre töricht, zu behaupten, Gefühle gäbe es nur in einem Teilbereich menschlichen Empfindens! Und so kann ich plakative, sich selbst zur Schau stellende Depressivität nur insofern ernst nehmen, als da ein Teil des betreffenden Menschen nach Aufmerksamkeit schreit, eigentlich nicht glücklich mit seinem eigenen Verhalten ist, sich aber doch nicht aufraffen kann, aus diesem Kreis auszubrechen...
Ich kenne diese Art effektheischender Depressivität aus einem anderen Zusammenhang, und ich kann nur betonen, dass sie mit Emo nichts zu tun hat, außer, man definiert wirklich eine Musikrichtung als psychisch begrenzt empfänglich. Dann jedoch wäre der gewählte Name seiner eigentlichen, verständnistragenden Funktion entkleidet und demnach irreführend.
Für mich heißt Emo nicht Ritzen, noch eine bewusst negative Einstellung zur Außenwelt. Natürlich mag ich den emotionalen, wütenden oder melancholischen Gesangsstil, aber auch die Atmosphäre in der Musik. Genau so verhandelt Emo nicht in erster Linie persönlich erfahrenes Leid, sondern ist mindestens ebenso hochgradig politisch. Politisch oft in einer sehr lyrischen Form, die sich dem Einzelschicksal als stellvertretend für den großen Zusammenhang annimmt. Emo steht immer noch in der Tradition des Punk und sollte engagierend wirken! Es ist schade, wenn Emo bloß eine Mode, ein neuer Trend sein sollte und von daher eigentlich Pop als in der Definition von "populärer Musik" - in den USA ist jenes wohl schon eingetreten, und Emo ist musikalisch, psychologisch und modisch ein Massentrend geworden, von gleicher Güte wie sonst nur HipHop und der traditionelle Pop.
Vollkommen verschont sind wir in Europa davon nicht geblieben. Der SIcherheit halber können wir uns aber distanzieren, indem wir das schlimme "E"-Wort nicht mehr verwenden. Wunderschöne, emotionale Musik werden wir immer wieder, auch abseits ausgetretender Pfade, finden, egal ob sie dann "emo" gelabelt ist oder nicht.

Und was kam danach?

Stagnation.
Oder auch nicht.
Weiterentwicklung, natürlich.
Aber das oben gesagte gilt auch heute noch, nur vielleicht in diffuserer Form. Wie gesagt, Emotionen müssen nicht nur wütend und schreiend zum Ausdruck gebracht werden, sondern können ganz einfach auch vom größten Glück der Welt künden!
Ich könnte jetzt auch einen ganz furchtbar modischen Begriff verwenden und behaupten, mein Musikgeschmack habe sich pluralisiert.

Ich weiß noch genau, dass mir irgendwann "Closing Time", das Debut von Tom Waits in die Hände fiel. Wieder, müsste man sagen. Tom Waits war mir noch gut bekannt, als derjenige Kasper aus dem Sammelsurium meiner Mutter, bei dem sie immer die Anlage aufdrehte und vollhals mitgrölte/krächzte etc., was bei mir alarmiertes Unverständnis auslöste. Wie konnte man sich dem nur aussetzen? Ohne Drogen, meine ich.
Dieser Barde war mir von daher also ein Greuel, ein allzu bekanntes noch dazu.
Doch gibt es all diese schlaumeiernden Sprüche, die uns weismachen, dass wir alle irgendwann unseren Eltern immer ähnlicher werden.
Die sollen keiner empirischen Untersuchung unterzogen werden, aber irgendwann hatte mich Tom Waits auch am Kragen erwischt. Und "Closing Time" war ja noch harmlos, im Vergleich zu seinen sonstigen Lärm- und Tonorgien! (Auch wenn Waits natürlich kein Stockhausen ist, und ich weiß wovon ich rede, schließlich war ich als 13-jähriger Augenzeuge eines Stockhausen-Musicals mit lauter kreischenden Menschen in Katzenkostümen. Ich habe selten ein Konzert vorzeitig verlassen, aber da jenes mich keinen Eintritt gekostet hatte, ließ sich die Flucht relativ gut rechtfertigen...)

Wann der Waits-incident war? - Ist das von Belang?
Was zählt, am Ende des Tages, ist, das der Taucher die Perle gefunden hat, ist es nicht so?

Eine nächste Revolution brach in Schweden aus, wo ich ein Jahr Erasmus-Student spielte, doch hauptsächlich Erasmus war, dem sinnstiftende Tätigkeit nahelegenden Begleitverb entlaufen. - Es ist ein offenes Geheimnis, dass Erasmus-Aufenthalte nicht dem Wissenserwerb in einer bestimmten Disziplin gedwimet sind. - Nebenbei gesprochen, war jene Zeit eine der glücklichsten meines Lebens. Einen Anteil daran hatte, neben all den wunderbaren Menschen, die zu treffen mir vergönnt war, vielleicht auch die positive Musik, mit der ich in der Nation meines Vertrauens und Herzens, Kalmar nation, konfrontiert wurde. (Alle, die Uppsala kennen, wissen wovon ich spreche; die Nationen sollen hier nicht Thema sein.)
Es war Calle, der resident DJ, der samstags zu seinem Klub "Elevation" auflegte, was er Disco, House, Soul, Gospel nannte und mir die Augen öffnete und die Tanzbeine durchgehen ließ. Früher oder später fanden wir uns allsamstäglich auf den Tischen tanzend wieder. Bis heute ist Elevation für mich der Inbegriff sinnvoller Disco, tanzbarer und euphorischer Musik. Und ich bin jedesmal von neuem enttäuscht, wenn ich mich in der Erwartung auf ähnlihce Erweckungserlebnisse zwischen tanzende Menschenmengen begebe.
Ich entdeckte meine Lust zu alles transzendierenden, un-choreographierten Solo-Darbietungen auf offener Tanzfläche, ich lernte den Schweiß und die Atmosphäre lieben, das großartige Gefühl, all jenes mit wunderbaren, freundlichen Menschen zu teilen und zu wissen, dass sie ebenso empfinden. Und vor Liebe zu vergehen.
Ja, sicher ist dies eine Voraussetzung dafür, dass mir euphorisches Disco-Erleben erst ermöglichte wurde.

Musik ist auch ein Begleiter dieser Unnahbaren, der Liebe.
Die schönsten und die grausamsten Momente des erschütterndsten aller Gefühle verbinden wir umso stärker mit jener Musik, die wir zur Verarbeitung unserer Gefühle benötigten.
Noch viel intensiver als wir das sonst schon tun.
In mir wallte die heftigste Liebe, die ich bis dahin gekannt, und sie entflammte trotz einer Entfernung von 600 Kilometern und durch zwei Monate des Kennenlernens (und es kann sofort funken!).
Wir hörten in der einen Woche, in der ich sie besuchte, nahezu ununterbrochen "temper the wind to the shorn lamb" von This Beautiful Mess. Unterbrochen nur von Elliot Smith, und auch der war ein Mörder an der Liebe (Selbst). Nach dieser Woche hätte ich in irgendeinem Erdloch versinken mögen, denn eine versagte Existenz machte so oder so wenig Sinn. Ich hörte die Platte also weiter, um in Erinnerungen zu schwelgen und die Realität so weit wegzudrängen, wie es mir möglich war. Ich schwamm in einem Ozean, in dem Hoffen, das Noch-mögliche, und Wissen, das Bereits-verhinderte, einander umschlungen. Was habe ich geliebt, Mina!
Und du musst es gewusst haben, wir Menschen sind doch intelligent und fähig, in den Augen und den Händen zu lesen!
Noch heute werden ich melancholisch, wenn ich "temper..." höre, und eigentlich sollte ich mich schämen, given the situation. ...und was wäre, wenn alles anders gelaufen wäre, damals?
(Ist das, was uns davon abhält, im Hier und Jetzt vollkommen glücklich zu sein, die Erinnerung an das, was anders hätte sein können? Ist es das Nicht-abgeschlossenhaben mit einer Vergangenheit, mir der man nicht abschließen kann - denn Vergangenheit ist ein Teil in uns, der sich nicht wegsperren lässt - ?)

The Album Leaf erinnert mich heute über die Entfernung an eine andere Liebe, die ich im Ungewissen zurück gelassen habe. Das war die Musik, die wir vor dem Einschlafen hörten.

Und so höre ich heute melancholische Musik, wenn ich traurig bin oder Gedanken nachhängen will, alte Bilder vor mein inneres Auge rufe und mich leise entschuldige bei denen, die viel zu lange auf Nachricht von mir warten. Und ich höre Disco und Soul, wenn ich ausflippen will und tanzen. Und in all der Zeit dazwischen höre ich meine emotionale Rockmusik, laut, wenn es sein muss, und Jazz, wenn es nicht sein muss.

Und nun habe ich den vollkommensten Teil von mir preisgegeben, den Teil, der zu vollkommen ist, als das er ich sein könnte. Der neben mir her existiert, mich überleben wird und bei unendlich vielen Menschen außerhalb meiner selbst ein Zuhause finden wird. Doch wo ich mich lassen kann, das ist, etwas zu erschaffen, das anderen Menschen Bedeutung in ihrem Leben schenkt. Etwas, das in ihnen Gefühle auslöst und ihr Leben komplettiert. Musik zu machen ist kein rein narzisstischer Vorgang. Für manche Menschen ist er einfach Lebensinhalt und Sinn.

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