Jan 23, 2008

Dominic Johnson und der Völkermord mit anderen Mitteln

Es wäre gerechtfertigt, die taz allein aus dem Grund zu abonnieren, dass in ihr regelmäßig die Artikel des Dominic Johnson aus und über Afrika erscheinen.
Johnson ist über Jahre der in meinen Augen beste und engagierteste deutschsprachige Journalist auf dem Kontinent - und ich finde auch die Sachen von Bartholomäus Grill in der Zeit oder von Michael Birnbaum in der Süddeutschen hervorragend!

Mir ist heute ein Artikel auf der Internet-Präsenz der taz in die Hände gefallen, der sich nicht mit aktuell medial präsenten Vorgängen auseinandersetzt, sondern mit "Völkermord mit anderen Mitteln", nämlich der Gewalt gegenüber Frauen, konkret in der Demokratischen Republik Kongo. Wie auch schon Henning Mankell schrieb, ist die Gleichberechtigung von Frauen Voraussetzung für eine positive Entwicklung Afrikas (in diesem Falle aus der AIDS-Falle heraus).

Wer den taz-Artikel liest, der kann gar nicht anders, als kalte Schauer am ganzen Leib zu spüren. Von meinem ursprünglichen Vorhaben, mir ein Schnittchen zu schmieren, habe ich jedenfalls Abstand genommen - ich hätte es ja doch nicht herunter bekommen.
Dabei soll niemand denken, exzessive Gewalt wäre ein rein afrikanisches Phänomen! Was haben unsere (damals schon zivilisierten) Vorfahren nicht alles geplündert, geraubt und gemordet!?
Seit einer gewissen Zeit ist es uns im sogenannten Westen jedoch vergönnt, ein sehr sicheres und behagliches Leben zu führen. Was uns Sorgen macht, sind allenfalls aufgebauschte Theorien von die Weltherrschaft anstrebenden religiösen Kleingruppen, die - ganz elitistisch - ihre Mitglieder aus den kulturell Bekanntesten rekrutieren, und darum in Deutschland als 100mal mehr und bedrohlicher angesehen werden als die 5-6000 Mitglieder, von denen der Verfassungsschutz ausgeht. (Nein, das böse S-Wort wurde nicht erwähnt...)

Aber was unterscheidet uns von Afrika?
Warum artet Gewalt ausgerechnet in Afrika so aus? - Wobei gesagt sein muss, dass sie das ja nicht überall tut. Doch selbst in einem relativ entwickelten (nach westlichem Verständnis) Land wie Kenia löst ein Wahlbetrug (oder ein undeutliches Ergebnis) eine furchtbare Krise aus, in deren Verlauf es zu willkürlichen und brutalen Morden kommt. Und es ist überall das gleiche - immer müssen die Schwächsten dran glauben.
Warum ist das so?
Ist es so, weil wir uns schon daran gewöhnt haben, und die Betroffenen auch? Wir sollten das kollektive, kulturelle Gedächtnis nicht unterschätzen. In unserem Falle lässt es Demokratie, Menschenrechte und Gleichberechtigung als selbstverständlich erscheinen (obwohl wir vielleicht erst seit 50 Jahren von deren Durchsetzung sprechen können). In Afrika ist es dann vielleicht die Regierung der Despoten mit harter Hand, das Bewusstsein des Aufgegebenseins durch die (vom Westen dominierte) Weltgemeinschaft - ja, eine Erniedrigung durch jahrhundertelange Ausbeutung und Unterdrückung, die tiefe Spuren im Selbstwertgefühl hinterlassen hat, ohne dass sich die Menschen dessen bewusst sind... Hier sollte ein Fragezeichen stehen... Vor diesem Hintergrund ist die neue Freundschaft zwischen China und Afrika eventuell sogar mit der Hoffnung auf einen Neuanfang, auf eine weniger vorbelastete Beziehung verbunden. Indes, ich befürchte, dass auch viele Chinesen bereits eine Meinung von Afrika haben. In unserer heutigen Welt bleibt nichts lang genug verborgen...
Doch hat z.B. Asien nach 1945 eine ganz andere Entwicklung als Afrika genommen. Woran liegt das? - Ich bin niemand, der geographisch- oder ethnisch-deteministischen Modellen etwas abgewinnen kann. Und der afrikanische Kontinent ist an Rohstoffen doch so reich. Für eine schnelle Entwicklung im progressivistisch-kapitalistischen Sinne wären doch Voraussetzungen gegeben.

Wir müssen dem afrikanischen Kontinent die Chance einräumen, sich selbst von Grund auf neu zu organisieren!
Im Moment stellt sich dies mir als der einzige Ausweg dar.
Das beinhaltete aber auch, dass wir uns komplett zurückzögen, dass wir auf unsere Gier nach billigen Rohstoffen verzichteten, und den Industriezweig namens Entwicklungshilfe abbauten. (Sehr empfehlenswert in diesem Zusammenhang auch ein Artikel des Kenianers James Shikwati "Fehlentwicklungshilfe" in der Zeitschrift Internationale Politik, den man über unseren webvpn-Uni-Zugang erreichen kann.) Wie dem Problem der Dürren und Mangelernten, der Wasserknappheit und den Epidemien umgegangen werden soll - das stellt meinen Gedankengang vor Probleme. Falls jemand mit einer Möglichkeit käme, wäre ich dafür äußerst dankbar!
Denn meinem Gewissen stellt sich der Hinweis auf eine durchaus denkbare "Selbstreinigung" Afrikas - was konkret das Sterben all der Schwächsten und das Überleben der Stärksten bedeuten würde - als widerlich und unzumutbar dar. Und was dieses mit dem afrikanischen Selbstwertgefühl täte - darüber möchte ich gar nicht nachdenken.
Das bedeutet zunächst, die unseligen Staaten abzuschaffen, da sie sowieso nicht entlang von Stammesterritorien begrenzt sind. Eine Wirtschaft, die auf relativ autarken Dorfgemeinschaften basiert, passt doch viel eher auf die afrikanische Lebensweise, wie mir scheinen will. Doch wie begegnen wir dem Problem von Autoritäten und der Nutzung des Macht- oder Waffenmonopols durch eine günstiger positionierte Gruppe?
Wie wäre es mit einem Blick zurück?
Afrikanische Gesellschaften haben doch lange existiert, ohne dass entscheidender Einfluss von außen genommen worden wäre. Es muss also möglich sein, eine nachhaltige Gesellschaft zu etablieren. Vielleicht sollten wir (im Sinne von wir an dem Problem INteressierten) uns an den gesellschaftlichen Modellen der Vergangenheit orientieren, um positiv in die Zukunft sehen zu können. Wer hat denn festgelegt, dass Geschichte eine gerade Linie ist, die immer nur nach vorne läuft, im Klartext also zu immer größeren Fortschritten in Forschung und Technik, Biologie und Lebensweisen führt und letztendlich zur Ausradierung des Planeten, weil dessen Uhr nämlich nicht geradeaus läuft, sondern im Gegenteil im Kreis, sich immer wieder im Kreislauf von Jahreszeiten erneuernd?

Ich möchte euch, die ihr euch Gedanken gemacht habt, inständig bitten, mir Einblick in diese eure Gedankengänge zu gewähren!
Als weiterführende Literatur sei hingewiesen auf das Buch "Beyond Humanitarianism", das erst kürzlich vom Council on Foreign Affairs herausgegeben wurde. In unserer Bibliothek ist es leider noch nicht vorhanden.
Eine Diskussion über dieses Thema (in freundschaftlicher Atmosphäre) ist, was mir in meinen Träumen dieser Tage vorschwebt... Ich danke...

(das Bild ist aus Tanzania, von meinem Bruder oder mir geschossen)

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