Dec 25, 2010

Einmal Japan und zurück – Nuancen des populären neuen taiwanischen Kinos

Filmrezension

Einmal Japan und zurück – Nuancen des populären neuen taiwanischen Kinos

In diesem Artikel werden gegenwärtige kulturpolitische Tendenzen in Taiwan anhand der drei aktuellen und kommerziell erfolgreichen Filme CAPE NO. 7 海角七號, MONGA 艋舺 und 1895 IN FORMOSA 一八九 beleuchtet.

Cape No. 7 – Heimatfilm mit Wohlfühlatmosphäre

„Fuck Taipei!“ – mit diesen Worten beginnt Wei Te-Shens 魏德聖 Kassenschlager, der kommerziell erfolgreichste einheimische Film überhaupt. Und das ist durchaus programmatisch zu verstehen, spielt der Rest der Handlung doch fernab vom hochmodernen, kosmopolitischen und (dennoch) „hochchinesischen“ Taipei.
Wir befinden uns in und um Hengchun, der südlichsten Stadt Taiwans kurz vor dem Kenting-Nationalpark mit ihren malerischen alten Stadttoren. Hier wird noch Betelnuss gekaut, grundsätzlich ohne Helm Moped gefahren und – in Taiwanisch kommuniziert. Dabei ist die Handlung an sich zu vernachlässigen: Mit den örtlichen Gepflogenheiten über Kreuz stehende Japanerin versucht, das Konzert eines japanischen Schmusesängers am Strand zu organisieren, wird in lokale Machtkämpfe verwickelt und muss schließlich eine wild zusammengecastete Vorband aus dem Ort bühnenreif trimmen. Zwischendurch wird sie mit allerhand exzentrisch-trinkfester lokaler Gesellschaft und Folklore konfrontiert und verliebt sich in den mürrischen Aushilfsbriefträger, der – Ironie des Holzhammers – zu allem Überfluss auch noch Vorband-Sänger wider Willen ist. Kurz, die Lovestory wirkt nicht gerade nachvollziehbar, beansprucht die Nerven und strapaziert den Film auf insgesamt 2:10 Stunden, wobei der Höhepunkt eigentlich schon 40 Minuten vor dem Ende erreicht ist. Die Hauptdarsteller sind entweder kratzbürstig und mit dem immer gleichen Stirnrunzelblick gesegnet (Aga), oder kreischende Nervensägen (Tomoko). Dennoch kennt den Film in Taiwan jedes Kind; viele Menschen haben ihn gleich mehrfach im Kino angesehen, obwohl der Wiedersehfaktor bedenklich nah gegen Null tendiert. Don’t get me wrong, wie sie auch habe ich den Film sehr genossen – aber warum nur?
Das liegt vor allem am kuscheligen Heimatfilmflair einer fröhlichen Südtaiwan-Idylle mit Sonne, Meer und urigen Taiyu 台語-Sprechern, die kein Blatt vor den Mund nehmen. Taiwan ist eine kleine Insel, ein jeder ihrer Bewohner kann dies also mit eigenen Erlebnissen verknüpfen. Hier stecken denn auch das Herz und die Seele des Films: Es sind die sympathisch-skurrilen Figuren, die ihn sehenswert machen. Allen voran die älteren Darsteller, der überdrehte behornbrillte „Nationalschatz“ Opa Mo, der notorisch gut gelaunte Schlagzeuger „Frosch“ und Stadtratsvorsitzender Hung, dargestellt von Jonny Lin, welcher gerade seinen zweiten Frühling erlebt und mit seinen glaubwürdigen Rollen in Cape No. 7 und Monga Kultstatus im aktuellen taiwanischen Kino erspielt hat. Ihre für jeden Taiwan-Besucher durchweg nachvollziehbaren Charaktere würden in der ernsten Karriere- und Bürokratensprache Hochchinesisch nicht annähernd funktionieren. Implizit befördert Cape No. 7 damit aber eine Art „innerer Exotisierung“ Taiwans, einer Insel, deren großteils urbane Bevölkerung eben im Alltag kaum noch mit der beschaulichen dörflichen Atmosphäre in Kontakt kommt. Was nicht schlecht sein muss.

1895 – Rückblick voraus auf das neue Taiwan


Den Rahmen der Handlung bildet die japanische Eroberungskampagne zu Beginn der Besetzung Taiwans, welche aus zwei Perspektiven verfolgt wird: derjenigen der aufgeklärt und mitfühlend porträtierten Eroberer, die die Schönheit der Landschaft bewundern, und jener der lokalen Widerständler in der Gegend um das heutige Hsinchu. Kommuniziert wird in dem Film ausschließlich auf Hakka, Hoklo und Japanisch. Im Grunde sind die Motive beider Filme erstaunlich ähnlich. Sie heben Taiwans soziokulturelle und linguistische Diversität hervor. Gezeigt wird ein vielschichtiges Taiwan, das keine rein „chinesische“ Realität widerspiegelt, sondern in dem japanische Einflüsse keineswegs zweitrangig sind.
Im historischen Epos 1895 geschieht das ganz explizit in der Verbindung der Perspektiven von Besatzern und Widerstandskämpfern. Cape No. 7 sucht die Verbindung zur Vergangenheit über Liebesbriefe aus japanischer Zeit (die aber seltsam enthoben vom Filmgeschehen bleiben), heutige Popkultur-Verbindungen und Opa Mo, der beide zeitlichen Ebenen in einer Person verkörpert. Im Internet war Kritik zu lesen, warum eine ehemals japanisch kolonisierte Gesellschaft heute die Zeit der Kolonisierung schönfärben und darüber hinaus freiwillig zu ihrer erneuten „kulturellen Kolonisierung“ beitragen würde.[I.] Interessanterweise machen die in Cape No. 7 am japanisch-taiwanischen Kulturaustausch beteiligten Taiwaner durchweg von ihrer Subjektivität Gebrauch. Sie lassen sich keineswegs instrumentalisieren oder gar kolonisieren, sondern vermischen Elemente einer ganz Ostasien beeinflussenden japanischen Popkultur mit entschieden lokalen Ingredienzen.
Japan ist ein wichtiger Bestandteil des gegenwärtigen kulturellen Diskurses in „multicultural Taiwan“. Einerseits eine politisch geförderte Tendenz, entspricht sie andererseits aber auch den Realitäten sich rapide wandelnder Kulturen. Die Wahrung und Förderung kultureller Diversität ist eines der wichtigsten Projekte des v.a. DPP-geführten ersten Jahrzehnts seit 2000. Das Konsumverhalten der taiwanischen Kinobesucher zeigt hingegen nicht (nur) den Erfolg jener Politik, sondern vielmehr ihre Notwendigkeit. Politische Freiheit seit den 90er Jahren ermöglicht die freie Entfaltung von persönlicher wie Gruppen-Identität, was in 1895 und Cape No. 7 durch Kooperation und Heiterkeit in einer insgesamt wohlsituierten Gesellschaft positiv bewertet wird. 1895 handelt von reichen Hakka-Familien, traditionell stärker einem mythischen chinesischen Heimatland verbunden, doch veranlasst sie ihr Widerstandskampf gegen die Japaner zu enger Kooperation mit einer Bande von Hoklo-Freischärlern und ihren Ureinwohner-Kompagnons, nicht zum Partikularismus, sondern zur Vergemeinschaftung einer geographisch eng umschriebenen Schicksalsgemeinschaft. In Cape No. 7 wird großteils auf Taiyu kommuniziert, doch wird neben Japan auch Hakka („Malasun!“) und Ureinwohnern (vom Stamm der Rukai) große Präsenz eingeräumt. Geradezu symbolisch vereint wird „multicultural Taiwan“ in der auf der Bühne stehenden Band (allerdings ohne Waishengren, dafür mit christlichem Beistand), zu der sich im Duett einer polyglotten Version von Schuberts „Heidenröslein“(!) der japanische Minnesänger gesellt. Die Versuchung ist groß, die für manchen Slapstick genutzte Präsenz des Christentums im Film als weiteren Beleg anzuführen. Die Verbildlichung (des Wunsches?) eines harmonischen, auf Heiterkeit beruhenden Miteinanders der verschiedenen Bevölkerungsgruppen könnte das wahre Verdienst von Cape No. 7 sein. Auch wenn sich in der Realität Probleme ergeben, die der Film verschweigt, etwa die Vermarktung von „Ureinwohner-Schnaps“ durch Han-Entrepreneurs (Malasun) und die einhergehende Stigmatisierung der Yuanzhumin als allzeit benebelt-fröhliche Ohnesorgs.

Monga – Die nostalgische Verklärung des Bandenalltags

„These are the real Taiwan gangsters: Vulgar yet powerful (俗擱有力)!“

Doze Nius 鈕承澤 Film ist der zweite kommerziell äußerst erfolgreiche taiwanische Film seit Cape No. 7, dabei aber stilistisch anspruchsvoller und durchaus ansehnlich. Er erzählt eine Coming of Age-Geschichte in den Achtzigern im alten Taipeher Viertel Bangkah/Monga. Die Übernahme Mongas durch Waishengren stellt hier eine Zäsur dar, den Abschluss der guten alten Zeit. Von nun an gelten andere Spielregeln, es wird hart und auf Hochchinesisch verhandelt, Gewalt inbegriffen. Nicht zufällig endet gleichzeitig die Jugend der Hauptfiguren. Die Umstände werden rauer, die bisherige Leichtigkeit und Sorglosigkeit eines trotz aller Bandenkämpfe scheinbar behüteten Aufwachsens weicht dem Prinzip des Überlebens des Stärksten und endet in gegenseitigem Verrat. Taiwan hat seine Unschuld verloren.
Liebe zum Detail, Zeitlupen, intelligent eingesetzte Musik (in der Tradition von Millennium Mambo), die Faustkämpfe zu Walzer-Einlagen werden lässt, Kameraschwenks, Farben, die das Taiwan der 80er Jahre lebendig machen. Wirre Verfolgungsjagden durch schmale Gassen wellblechbedeckter Einstockhäuser, groteske Massenschlachten vor den Marksteinen Taipeis bis heute, Longshan-Tempel, Huaxi-Nachtmarkt und Snake Alley. Eine Geschichte von Freundschaft, Zusammenhalt und Erwachsenwerden. Jugendliches Balgen. Aberwitzige Situationen und wohldosierte Komik suggerieren die Sorglosigkeit unbeschwerten Lebens. Trügerisch, wie sich herausstellen soll. Denn das Leben im Gangstermilieu kann ein ernstes sein. All das, die bekannten Orte, die komödienhafte Leichtigkeit, der Gebrauch eines leicht ironischen Taiyu erzeugen ähnlich wie in Cape No. 7 eine Identifikation der Kinobesucher mit den Hauptfiguren, auf die sie im von hochanspruchsvollen Arthouse-Movies und belanglosen Schnulzen geplagten taiwanischen Kino lange gewartet haben. Allen voran der unwiderstehliche Boss Geta, gespielt von Jonny Lin. Spielerisch wird Geschichte aufgearbeitet und über das populäre Medium Film eine alternative Narrative taiwanischer Subjektivität erzeugt, die das Alltagsgeschehen und seine ganz normalen Helden und Unholde in den Fokus rückt. Nicht prominent, doch auch hier kommt Japan vor, als Ort der Sehnsucht für den jungen Hauptdarsteller. Konsequenterweise endet die Geschichte denn auch in einem versucht-poetischen, dabei jedoch vor allem pathetischen Verwandeln von Blutstropfen in fallende Kirschblüten – unmissverständliche Symbolik.
Ein zwar langer, bis auf das überdramatisierte Ende aber gelungener, kurzweiliger Film, der keinem weh tut. Man merkt Niu seine Zusammenarbeit mit Hou Hsiao-Hsien punktuell an. Als Bonus bekommt man einen Eindruck von den modischen Stilverbrechen Ostasiens, was Frisuren anbelangt. Das macht Lust auf mehr neues Kino aus Taiwan. Absolute (Geheim-?)Tipps sind die Episodenfilme des Paares Lou Yi-an 樓一安 und Singing Chen 陳芯宜, GOD MAN DOG 流浪神狗人 [II.] und A PLACE OF ONE’S OWN 一席之地, jeweils mit dem großartigen Jack Kao 高捷 in einer wunderbaren Rolle. Kaum warten mag ich auf das nächste Werk des Cape-Autoren, der nun aufgrund seiner Bekanntheit endlich seinen lange vertagten Film über den Wushe-Vorfall 霧社事件 von 1930, SEEDiQ BALE 賽德克·巴萊 [III.], finanziert bekommt. jt

Monga kommt am 9. Dezember 2010 als Monga – Gangs of Taipeh in die deutschen Kinos. Am 25. November startet die von Wim Wenders produzierte romantische Komödie Au Revoir Taipei.

(erscheint in Dianmo 11, http://dianmo.wordpress.com/ausgaben/)

Anmerkungen

I. Taiwanonymus, Movie Review: Cape No. 7, Kommentare, http://taiwanonymous.blogspot.com/2008/10/movie-review-cape-no-7.html.
III. 5 Min. Trailer: http://www.youtube.com/watch?v=yD1Mhl0MQVw&feature=related, Blog: http://www.wretch.cc/blog/seediq1930&category_id=12897222. Der Wushe-Vorfall war ein Aufstand der Dekedaya, die auf Kopfjagd gegen ihre japanischen Besatzer gingen, vgl. Rudolph, Taiwans multiethnische Gesellschaft, 127f.

Abbildungen
Cape No. 7_1 http://anna69.pixnet.net
Cape No. 7_2 http://cape7.pixnet.net
Monga_1 www.mongathemovie.com
Monga_2 http://en.wikipedia.org
1895 In Formosa http://asianmediawiki.com

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